Neue Realitäten

"Was ich Kristallisation nenne, ist die geistige Tätigkeit, die an allem, was sich darbietet, die Entdeckung macht, dass das geliebte Wesen neue Vorzüge hat.“, Stendhal

Vor allem jene Werke, die von neuen Realitäten sprechen, denen nur sie angehören, locken den Betrachter auf ein ihm unsicheres Terrain, beziehen sich auf seine Schaulust und seine Verführbarkeit. Solche Bilder wollen nicht bloß gefallen, sonst wären sie ja auch nur Dekoration, sondern im Handstreich erobern. Ganz selbstverständlich stellen sie sich als vollendete Körper dar, um den Betrachter sich fragen zu lassen, in welcher anderen Welt wohl die Verzauberung durch das Fremde und der Reiz an neuen Empfindungen zu finden wäre als in jener der Liebe. Entscheidendes über die Bilder könnte daher auch gesagt werden in der Beschreibung der Inszenierung dieser Verzauberung, um von ihr nicht alleine auf eine künstlerische Haltung zu schließen, sondern diese Haltung als Charaktereigenschaften der jeweiligen Werke zu verstehen. In den Bildern Karl Schnetzingers ist es seine Vorstellung von unprätentiöser Künstlerarbeit, die zu einer kontrollierten Temperierung führt. In seiner, einem Automatismus verpflichteten Malweise, die sich im Setzen von Kürzeln artikuliert, steckt er Spannungsfelder auf der Leinwand ab und lässt aus der Gestik Zentren entstehen. In Durchblicken gibt er die Sicht frei auf frühere Stadien der Bildwerdung und lässt so die einzelnen Phasen der Entstehung miteinander in Verbindung treten. Damit wird ein Mechanismus der Bildfindung dargelegt, in dem das augenblickliche Reagieren, der Malrausch mit dem kalkulierten Aufbauen zu einem Bild verbunden ist. Stets bleibt die Disposition der Bildteile in ihrer Gewachsenheit deutlich und kann sich von dieser Position aus bedenkenlos in das Leuchten der Farbe ergehen. Solch eine Malerei verheißt sicher keinen schnellen Sinnesrausch, denn sie verknüpft auf engste die Voraussetzungslosigkeit der Geste mit der Erinnerung und Geschichte des jeweiligen Stücks Malerei. Diese Bilder verzaubern auf den zweiten, den dritten Blick, und erst beim Einsehen in ihre kluge Architektur legen sie ihr malerisches Vokabular dar. Dann aber weiß der Betrachter, das Bild kennengelernt zu haben und erkennt es wieder als ein Erfahrenes, das sich an der Kenntnis intensiviert und erneuert.