Ein Grund kein Ikonoklast zu sein

Karl Schnetzinger hat seine künstlerische Ausdrucksform interessanterweise gerade zu einer Zeit gefunden und entwickelt, in der die Malerei als künstlerisches Medium im "Wettbewerb" mit jenen technologischen Medien, die unsere Alltagskultur und Gesellschaftskonstitution zusehends konfigurierten und die damit von einer gar nicht so breiten, doch intellektuell überzeugenden Reihe von Künstlern und Kritikern als die einzig reflektions-­‐ und entwicklungsfähigen Kunstmedien erachtet und dementsprechend adaptiert wurden, bereits am Abstellgleis gegenwartsrelevanter Aussage‐ und Interpretationsmöglichkeiten zu stehen schien. Gegen Mitte der 1980er‐ Jahre nämlich sah es so aus, als hätte auf Basis auch der Konzeptkunst und anderer, nicht mit traditionellen Materialien arbeitenden Kunstrichtungen alles ausgedient, was mit primär sinnlichen, emotional mitdeterminierten Mitteln (dazu zählt neben dem Tafelbild auch die klassische Bildhauerei) an der künstlerischen Erörterung der Welt teilzunehmen versuchte. Genau zu diesem Zeitpunkt aber regte sich international eine "Gegenbewegung" zur Dominanz einer technologisch‐konzeptuellen Einschränkung des Kunstbegriffs: in Italien machte sich die "Transavantguardia" nicht allein über die Archive der Kunstgeschichte her, sondern auch "die Finger schmutzig", indem deren Vertreter wieder in die Farbtöpfe griffen; und im deutschsprachigen Raum waren es die "Neuen Wilden", die sich der bei Weitem nicht ausgeschöpften Reservoirs eines "abstrakten Expressionismus" auf der Basis informeller, tachistischer und gestischer Malerei bedienten (deren Wurzel jedenfalls in der surrealistischen "peinture automatique" liegt). Auch in Österreich gab es diese "Bewegung" der postmodernen Fauves, doch nur wenige ihrer damals durchaus am Markt reussierenden Vertreter (der Kunstmarkt dass soll nicht unerwähnt bleiben hatte mit der "Medienkunst" seine liebe Not und war froh, dass wieder Tafelbilder produziert wurden, die als "Flachware" leichter zu verkaufen waren als Videoinstallationen oder Computer‐Animationen) blieben ihrer Richtung á la longue treu. Einige verzettelten sich ins Narrative, andere ins Dekorative, nur wenige fanden über diesen Weg zu "innovativen" Aussagen. Kein Wunder vielleicht, war doch schon Vieles davon gerade in Österreich gleichsam "ausdiskutiert" in den 1950er‐Jahren waren die SchuüerInnen von Boeckl, Gütersloh und Wotruba nach Paris gelotst worden, wo sie erstmals "Informel" (u.a. bei Georges Mathieu) sehen konnten und daraus ihre gestische Malerei entwickelten, die über Jahrzehnte als die "Avantgarde" österreichischer Kunst gewürdigt wurde. Karl Schnetzinger hingegen fand über dieses "Erbe" hinweg zu einer für ihn authentischen Kunstsprache, von der er niemals abdriftete in ein anderes Lager, genauso wenig wie er sich seinerzeit durch Schwanengesänge vom "Ende der Malerei" hätte beirren lassen. Er ist seiner Sache absolut sicher und in diesem Sinne ein "Vollblutmaler", der immer wieder und mit neuem Impuls ans Werk geht und zugleich innerhalb eines "Prinzips" (einer bestimmten Form des malerischen Duktus) ein Maximum an Variatsionsmöglichkeiten herausholt. So stehen in seinem Ouvre neben einer Reihe von verwandtschaftlichen Eigenheiten z.B. intensive Farben einer meist reichhaltigen Palette, Kombination von malerischen mit zeichnerischen Elementen auch sehr unterschiedliche Vorgangsweisen der Bildund Materialbehandlung gegenüber: pastos‐reliefartig aufgetragene Oberflächen sitzen neben dünn‐lasierenden; einem Verbund kleinteiliger Pinselhieb‐ und Spachtelspuren im einen Bild können großflächig rinnende Farbflecken im anderen gegenüberstehen; einer statischen formreduzierten Komposition hier eine wirbelnd‐dynamisch gestische dort. Diese als formal und technisch beschreibbaren Unterschiede korrespondieren aber nicht zwingend mit den Unterschieden des Bild‐Temperaments, dessen Spektrum sich vom Pol des Kontemplativen bis zum Gegenpol des Aggressiven erstreckt. So ließen sich seine Bilder nach verschiedenen Kriterien in mehrere Werkgruppen ordnen nach technisch‐formalen einerseits und nach Stimmungs‐ bzw. Ausdruckswerten andererseits. Diese Möglichkeit des Austauschs lässt auf Gestaltungsprinzipien schließen, die auf einer bestimmten Ebene alle Bilder miteinanderverbinden. Um welche Art einer gemeinsamen Bildsprache könnte es sich handeln? Simultan mit der Aktion des Materialauftrages läuft bei Karl Schnetzinger offenbar ein ausgeprägt ordnungsbewusstes Denken, das die Spontaneität dieser Aktion mitbestimmend lenkt. Im Gegensatz zur informellen Malerei geht es dabei nicht ausschließlich um ein sich im unbewusst‐automatistischen laufenlassen von Farbe und Geste allenfalls manifestierendes Reglement, sondern Karl Schnetzinger baut an sich ergebenden oder vorhandenen (formalen und/oder farblichen) Ordnungsstrukturen bildgedanklich weiter und mit ihnen das Bild letztlich auf. Das Resultat ist somit keine rein subjektiv‐ persönliche (Ent‐)Äußerung, kein Psychogramm des Künstlers allein, sondern die Verdichtung aus menschlicher, das ist auch persönlicher Erfahrung, und einer überpersönlichen Sprach‐ bzw. Denkform. Karl Schnetzinger bezeichnet dieses Zusammenwirken von konstruktiven und subjektiven Komponenten, die wesentliche Impulse auch von der Außenwelt beziehen, als "Geometrie der Gleichzeitigkeit". Karl Schnetzingers Malerei bezeugt ein hohes Maß an Kenntnis der Kapazität dieses Mediums sowie ihrer Ausschöpfungsmöglichkeiten. Unter Ausklammerung ihrer leicht zugänglichen Bereiche des Abbildhaften und Erzählerischen verknüpfen sich hier Komponenten wie Ordnung und Zufall, Farbqualität und Farbmaterial, Singuläres und Plurales, innere und äußere Eindrücke... zu einer kraftvoll-­‐vitalen Bildsprache, die ihren Rezipienten auch ohne zusätzliche Worte erlebnisintensive Dialoge bietet. Betrachten wir die Geschichte der Kunst (der Malerei) des 20. Jahrhunderts als eine Geschichte des Versuchs, über den Weg der Abstraktion zu einer Sprache zu finden, die uns die Pluralität von Wahrnehmungsformen der "Wirklichkeit" eröffnet, dann gibt es hier noch einiges zu tun: Parallel zu der mathematisch‐logischen (Re‐) Konstruktion von Realität gibt es die subjektivisch‐emotionale Welt, die ihrerseits Realitätsanspruch zu reklamieren hat. Ihr kommen wir mit rein kognitivem Denken nicht so nahe, als dass wir sie zu dechiffrieren und in der Folge so zu instrumentalisieren wüssten wie den logos. Die Kunst der "poiesis", die ratio mit irratio vereint, mag das Potenzial haben, jene Sprache jenseits des "logos" zu entdecken, indem sie mit sinnlichen Mitteln operiert. Noch aber befinden wir uns im Mittelalter der Kommunizierbarkeit von objektiven und subjektiven Belangen, und wir sind auf dem "besten" Weg zum Kollaps unseres logozentrisch orientierten Systems, mit dem wir die Welt überzeugt überrollen. Bleibt die Hoffnung, dass über eine genau nicht logozentrisch orientierte Kunstsprache sich möglichst bald eine Möglichkeit der Dechiffrierung der subjektiven Sprache einstellt. Dazu wird es noch mancher Experimente bedürfen, und Künstler wie Karl Schnetzinger tragen dazu wesentlich bei.